Donnerstag, 16. Juli 2009

Einmal Weltwärts und zurück, bitte!
Nach zwölf Monaten Indien kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, jetzt auch zu denen zu gehören, die „Auslandserfahrung“ haben. Mein Lebenslauf ist aufpoliert, ich bin sozialkompetent und sensibilisiert für kulturelle Unterschiede. Was das Herz jedes Personalchefs höher schlagen lässt, hat für mich kaum noch etwas mit den vergangenen Monaten zu tun. Was Politiker, Arbeitgeber oder auch Eltern für das ultimative Ziel so einer Auszeit im Ausland halten, scheint mir nun eher wie ein Beiprodukt. Sicherlich hat sich auch die eine oder andere „softskill“ eingestellt, während ich versuchte, mir mit Messbecher und Eimer die Haare zu waschen, doch rücken diese Dinge schnell in den Hintergrund, wenn es darum geht, sich in einen fremden Alltag einzufügen. Auf der einen Seite bedeutet das letzte Jahr für mich sehr viel mehr, als es die professionelle Rhetorik der Ausbildungsbetriebe und Universitäten auszudrücken vermag, doch auf der anderen Seite scheinen mir die Begriffe viel zu hochtrabend dafür, dass ich doch eigentlich einfach nur „da“ war.Ich habe mich mit viel Schweiß und so mancher Träne an die indische Kultur angepasst und eine Lebensweise angenommen, die nicht meine war. Ich habe einen Weg gefunden, indisch zu werden und dabei deutsch zu bleiben und zum Schluss habe mich auf der Mount Road in Madras mit der gleichen Selbstverständlichkeit bewegt, mit der ich hier durch die Breite Straße gehe. Indien ist mir ans Herz gewachsen, ich liebe das Land und ich werde definitiv eines Tages zurückkehren. Jetzt jedoch ist erst einmal Lübeck live angesagt. Deutschland und Indien sind so unterschiedlich, dass ein Vergleich unmöglich ist und so stolpere ich von einem Leben ins andere. Beinahe ist es, als sei ich nie weg gewesen, denn alles ist noch genauso vertraut wie früher. Neunzehn Jahre hinterlassen eben doch ihre Spuren. Natürlich stelle ich mir jetzt auch die Frage „Was hat mein Auslandsaufenthalt eigentlich gebracht?“ Habe ich tatsächlich „Entwicklungshilfe“ geleistet? Habe ich dort etwas verändert? Beides lässt sich ziemlich eindeutig mit „Nein“ beantworten. Das mag im ersten Moment eine schockierende Erkenntnis sein, aber irgendwo ist es auch einleuchtend, dass man bloß mit dem Abitur und einer Portion guten Willen, eben doch nicht die Welt retten kann. War also alles umsonst? Glücklicherweise kann ich das ebenso eindeutig mit „nein“ beantworten. Dieses Mal war ich diejenige, die von diesem Aufenthalt profitiert hat, doch eines Tages werde ich hoffentlich in der Lage sein, einen echten Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten, der ohne diesen ersten Aufenthalt gar nicht möglich wäre.Jetzt freue ich mich einfach nur, wieder hier zu sein, auch wenn es nicht für lange ist. Das Weltenbummeln scheint sich bei mir zu einer chronischen Krankheit zu entwickeln.

Mit diesem letzten Eintrag möchte ich mich von Euch verabschieden. Ich habe mich sehr gefreut, meine Indien-Erlebnisse mit Euch teilen zu können und bedanke mich Euer Interesse.Mit herzlichen GrüßenEure Svenja

Sonntag, 28. Juni 2009

Ultimo-Beitrag Juli

Wer hat an der Zeit gedreht...?

Immer öfter wandern meine Gedanken nach hause. Meine Zeit in Indien neigt sich dem Ende zu und die letzten Tage zerschmelzen wie Eis in der indischen Sonne. Plötzlich stehen all die Sachen an, die ich im letzten Jahr mit den Worten „ach, das mach ich, bevor ich nach hause fahre“ aufgeschoben habe. Natürlich hätte ich früher anfangen können, mit meinen Vorbereitungen, aber warum sollte etwas, was ich seit Jahren an Weihnachten versuche, hier in Indien funktionieren? „Rechtzeitig anfangen“ und „Zeitmanagement“ sind hier wie immer die Zauberworte, aber erstens hatte ich es noch nie so mit der Zauberei, das überlasse ich lieber Harry Potter, und zweitens heißt „rechtzeitig“ doch eigentlich nicht viel mehr, als „zur rechten Zeit“ und sagt nichts darüber aus, dass am Ende nicht doch alles in Hektik ausartet. Und schließlich sind die letzten Tage vor der Abreise doch genau die richtige Zeit dafür, noch schnell Erinnerungsfotos zu schießen, Mitbringsel zu kaufen, die letzten Briefe zu verschicken, etc. Und wenn das bedeutet, dass ich in den nächsten Tagen tausend Dinge gleichzeitig erledigen muss, dann ist das eben so. Wenigstens bleibt mir dann nicht allzu viel Zeit zum Trübsal blasen. Denn auch wenn ich mich wirklich darauf freue, wieder nach Deutschland zurück zu kehren, so fällt es mir doch schwer, Indien zu verlassen. In den vergangenen Monaten habe ich hier ein zu hause gefunden, das mir ans Herz gewachsen ist und das Leben in Lübeck wird eine große Umstellung für mich sein. Keine gelb-schwarzen Rickshaws, keine Kühe auf der Straße, keine 24/7 Beschallung aus den Lautsprechern diverser Tempel, Moscheen und Kirchen, keine Mangos aus dem Garten. Dafür so exotische Dinge wie Erdbeeren mit Sahne, ein geregelter Straßenverkehr und dazu kühle 23 °C. Doch bis es soweit ist, gibt es noch viele Dinge, die ich bald zum letzten Mal tun werde: Mit den Kindern im Kindergarten spielen, mir von den Mädchen unverständliche Tamil-Songs beibringen lassen, mich in meinem Sari verheddern...

Doch die Welt ist groß und es gibt noch viele andere Orte, die es kennen zu lernen gilt. Leider kann ich mich nicht zerteilen, so dass ich in meinem Leben bestimmt noch viele weitere Male Abschied nehmen muss. Und so lange sich Abschiedsschmerz und Vorfreude die Waage halten, will ich mich nicht beschweren. Außerdem wird es eindeutig Zeit, dass ich nach Hause komme, schließlich darf ich als Kind dieser Küste die Travemünder Woche nicht verpassen.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Hallo liebe Leser,
nun ist der Mai auch schon wieder herum. Meine Zeit in Mirjams Projekt in Pandur war großartig. Die Managerin ist ein Engel und Miri und ich hatten wie immer viel zu lachen. Besonders im Kontrast zum üblichen Verhalten der indischen Mädchen war es wahrscheinlich wirklich auffällig, dass wir immer lachend und kichernd durchs Dorf marschiert sind. Aber egal, lachen ist gesund und schließlich können wir nichts dafür, dass indische Mädels immer so einen gesitteten und wohlerzogenen Eindruck machen. :)
Am 29.05. habe ich mich dann auf den Heimweg nach Mayiladuthurai gemacht. Die Fahrt war lang, aber ereignislos. Zuerst ging es mit einer Sammel-Rickshaw von Pandur nach Tiruvallur. Dort sind wir dann in den Bus nach Chennai gestiegen. Am Central Busstand dort war dann großes Verabschieden angesagt, denn von da aus habe ich meine Reise alleine fortgesetzt und Miri ist zurück nach Tiruvallur gefahren. Von Chennai aus bin ich dann 8 Stunden durch die Pampa geschaukelt, bevor ich dann gegen 22.30 Uhr endlich wieder in meinem Projekt eingetrudelt bin. So hat die Fahrt incl. aller Wartezeiten geschlagene 11 Stunden gedauert. Ich sag ja immer: Indien ist groß.

Seit Montag arbeite ich wieder im Kindergarten, im dritten, den die TELC hier betreibt. Das ist noch mal eine schöne Abwechslung, denn die Kinder sind nochmal ganz anders als in Anbumalar, wo ich im April gearbeitet habe. Die Kinder sind sehr viel stiller und es gibt weniger Gezanke. Außerdem wird von den Betreuerinnen nicht die ganze Zeit Programm gemacht, sondern die Kinder spielen auch ohne das Eingreifen der Kindergärtnerinnen ganz wunderbar miteinander.

Einer der Hauptgründe, weshalb ich schreibe, ist aber folgender: Seit heute Morgen hat das Ladekabel meines Handys den Geist aufgegeben. Das heißt, mein treuer Begleiter taugt nun zu nicht viel mehr als zum Briefbeschwerer. Zuerst war ich so wütend, dass ich Kabel und Telefon am liebsten an die Wand geschmissen hätte, aber mittlerweile nehme ich das ganze sportlich. Ich habe schon immer befürchtet, dass ich viel zu abhängig von meinem geliebten Mobiltelefon bin. Jetzt bietet sich mir also die ultimative Gelegenheit, (hoffentlich) das Gegenteil heraus zu finden. Und außerdem bin ich in Abenteuerlaune. Da ich allerdings nicht auf so extremes Zeug stehe, wie einbeinig durchs Himalaya zu klettern, oder dergleichen, werde ich mich damit begnügen, die kommenden Wochen ohne Handy aus zukommen. Ehrlicherweise muss ich dazu sagen, dass das in Indien nicht sonderlich schwer sein dürfte. Sollte ich wirklich mal ein Telefon brauchen, hat so gut wie jeder Inder ein Handy, welches er mir sicher mit Freude leihen wird und sollte das nicht klappen, so kommt mir der Mangel an privaten Festnetz-Leitungen zu Gute. Dadurch, das kaum ein Haushalt ein eigenes Telefon besitzt, gibt es alle 10-20 m öffentliche Telefonapparate. An Busbahnhöfen ebenso wie im hinterletzten Dorf. Ich gehe also nicht wirklich ein Risiko ein, wie es sich für ein richtiges Abenteuer gehören würde, sondern verzichte lediglich auf die Möglichkeit, jederzeit irgendwen anzurufen, nur weil mir grad langweilig ist.
Ich bin natürlich auch weiterhin per Mail zu erreichen und freue mich auch ohne Handy immer, von Euch zu hören.

Freitag, 15. Mai 2009

Ultimo-Artikel für Juni 2009

Eigentlich müsste über dem ganzen Land ein dumpfes Rumpeln und Knirschen liegen, denn seit einem Monat hat die größte Demokratie der Welt ihre Wahlmaschinerie in Gang gesetzt. 714 Mio. Inder sind wahlberechtigt, 4,7 Mio. Wahlhelfer und 21 Mio. Sicherheitsleute garantieren einen geregelten Ablauf der Parlamentswahlen. Der ganze Prozess ist in fünf Phasen unterteilt in denen die einezelnen Bundesstaaten gruppenweise wählen. In einigen der weniger entwickelten Staaten ist es zum Teil zu Ausschreitungen gekommen, die zumeist mit der starken Position der Maoisten in diesen Staaten zusammen hingen. Diese linksextremistische Gruppierung, die in Indien auch unter dem Namen „Naxaliten“ bekannt ist, schreckt nicht vor Bombenattentate und anderen Gewaltakten zurück um die Bevölkerung einzuschüchtern.
In Tamil Nadu spielen die Naxaliten kaum eine Rolle und die Wahlen sind vergleichsweise ruhig abgelaufen. Am Wahltag waren die Geschäfte geschlossen und die Straßen waren weitestgehend verlassen. Es war, als hätten die Menschen ihren Alltag für einige Stunden angehalten um ihr Recht als mündiger Bürger auszuüben. Erst abends nahm das geschäftige Treiben auf den Straßen wieder zu.
Viele Inder sind der Meinung, dass dies seit langem die freisten und reibungslosesten Wahlen gewesen sind. Unlautere Methoden wie Geldgeschenke oder Einschüchterung sind nämlich leider keine Seltenheit, aber fast 25 Mio. Wahlpersonal haben offensichtlich Wirkung gezeigt.
Was mich immer wieder erstaunt, ist die wohl unbewusste, aber deutliche Trennlinie, die zwischen dem politischen System „Demokratie“, also der Gleichberechtigung aller Menschen, und der extrem hierarchischen Gesellschaft in Indien verläuft. Was auf uns wie ein Widerspruch wirkt, funktioniert für die Inder ganz wunderbar. Jeder hat das Recht seinen Wahlzettel in die Urne zu werfen und so an der Bildung der Lok Shaba, des indischen Parlamentes mitzuwirken. Im Umgang miteinander jedoch wird genau ermittelt, wer wo auf der gesellschaftlichen Leiter steht und damit auch, wer was darf bzw. nicht darf. Ein Lehrer darf sich über seine Schüler lustig machen, eine Mutter mit Söhnen darf stolzer auf ihre Kinder sein, als eine mit Töchtern und ein Regierungsangestellter kommt einem Halbgott gleich. Natürlich bezieht sich das nicht auf alle Lehrer/Mütter/Beamten, dennoch ist diese Verallgemeinerung in meinen Augen gerechtfertigt, denn solche Situationen gehören zur Tagesordnung. Zum Glück fallen mir dererlei Ungleichheiten noch auf, doch meistens bin ich die einzige, die sich darüber wundert. Doch so fremd und unangenehm mir das auch vorkommt, ich kann mittlerweile verstehen, dass in einer Gesellschaft, in der 80% der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, jeder, der es „geschafft“ hat, dies auch zeigen möchte. Und das tut man eben durch die Zahl seiner Untergebenen.
Wahlversprechen gab es viele, was davon später in die Realität umgesetzt wird, ist ungewiss. Darin zumindest gleichen sich Deutschland und Indien.

Dienstag, 14. April 2009